Stehen die Ursachen einer körperlichen Auseinandersetzung unter Kollegen mit berufsbedingten Belangen im Zusammenhang, kann bei Verletzungsfolgen auf einen Arbeitsunfall erkannt werden.
WKR-Erklärung
Nach einem Arbeitstag auf der Baustelle, befanden sich mehrere Arbeiter auf dem gemeinsamen Rückweg Richtung Göppingen. Im Firmentransporter kam es zum Streit zwischen einem türkischen und einem kosovarischen Kollegen, der den Wagen fuhr. Der Disput hatte sich aufgrund der Frage entwickelt, ob man “wegen der schlechten Luft” im Transporter ein Fenster öffnen oder ob man es wegen der Zugluftgefahr lieber geschlossen halten solle. Bei einem Halt eskalierte der Streit. Der türkische Kollege war ausgestiegen und hatte alle Türen des Fahrzeugs geöffnet, der kosovarische Kollege stieg nunmehr auch aus, um diese wieder zu schließen um die Fahrt fortsetzen zu können. Nun erhielt der Kosovare einen Faustschlag ins Gesicht, fiel zu Boden und wurde mit Fußtritten gegen den Kopf traktiert. Dadurch erlitt er eine Schädelprellung und weitere Verletzungen.
Die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung des Vorfalls als Arbeitsunfall ab. Der Streit der dem Angriff auf den Kosovaren vorrausging, sei persönlicher und kultureller Natur, lautete die Begründung. So sah es auch das Sozialgericht Ulm in erster Instanz und befand, dass die gegen den Kläger gerichtete Straftat nicht wesentlich durch den Arbeitsweg bedingt gewesen wäre, sondern durch die konfliktaffinen Persönlichkeiten der Beteiligten.
Dieses Urteil kassierten allerdings die Richter des Landessozialgerichts in Stuttgart. Sie sahen sehr wohl die Bedingungen für einen Arbeitsunfall als erfüllt. Das versicherte Zurücklegen des Arbeitsweges sei die maßgebliche Ursache für die Einwirkungen durch den Täter. Die Ursachen des Streits lägen also nicht im privaten Bereich, sondern in der versicherten Tätigkeit des Klägers als Fahrer. Zwar hätte der Kläger zum Unfallzeitpunkt das Fahrzeug angehalten und war ausgestiegen, hatte dabei aber nicht den öffentlichen Verkehrsraum verlassen. Zudem war er eben auch nur deshalb ausgestiegen, um die vom Täter zuvor geöffneten Türen wieder zu schließen. Dabei habe es sich um eine Verrichtung gehandelt, die notwendig war, damit der restliche Arbeitsweg zurückgelegt werden konnte. (LSG Stuttgart / L 1 U 1277/17)
Anmerkung: Ein Arbeitnehmer der seinen Arbeitsplatz (Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung) verlässt, um einen Kollegen tätlich anzugreifen und sich dabei selbst verletzt, kann keinen Arbeitsunfall geltent machen. Zwar kann die Klärung eines Disputs bzw. das Austragen eines über betriebliche Pflichten und betriebliches Verhalten bestehenden Konflikts durchaus auch im betrieblichen Interesse liegen. Eine Tätlichkeit kann aber selbst dann, wenn unter Kollegen ein „rauer Ton” herrscht, nicht mehr als betriebsdienlich angesehen werden. Eine körperliche Attacke vermag das kollegiale Verhältnis so zu stören, dass eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist, außerdem ist eine mögliche Folge solchen Handelns eine Arbeitsunfähigkeit des Opfers, die ebenfalls in keinster Weise im betrieblichen Interesse liegen kann. (LSG Baden-Württemberg / L 1 U 1504/17)